Wo sich berühren Raum und Zeit

Wo sich berühren Raum und Zeit,
am Kreuzpunkt der Unendlichkeit,
ein Pünktchen im Vorüberschweben.
– Das ist der Stern, auf dem wir leben.

Wo kam das her, – wohin wird es gehn?
Was hier verlischt, wo wird es auferstehn?
– Ein Mann, ein Fels, ein Käfer, eine Lilie
sind Kinder einer einzigen Familie.

Das All ist eins. Was „gestern“ heißt und „morgen“,
ist nur das Heute, unserem Blick verborgen.
Ein Korn im Stundenglase der Äonen
ist diese Gegenwart, die wir bewohnen.

Dein Weltbild, Zwerg, wie du auch sinnst,
bleibt ein Phantom, ein Hirngespinst.
Dein „Ich“, das Glas, darin sich Schatten spiegeln,
das „Ding“ an sich, – ein Buch mit sieben Siegeln.

Wo sich berühren Raum und Zeit,
am Kreuzpunkt der Unendlichkeit. –
Wie Windeswehen in gemalten Bäumen
umrauscht uns diese Welt, die wir nur träumen.

Ein Gedicht von Mascha Kalèko.

Am Meer

Mascha Kaléko – Sozusagen grundlos vergnügt

Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen
Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,
Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.
Dass Amseln flöten und dass Immen summen,
Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen.
Dass rote Luftballons ins Blaue steigen.
Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen.

Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht
Und dass die Sonne täglich neu aufgeht.
Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem, dass ich bin.

In mir ist alles aufgeräumt und heiter;
Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.
An solchem Tag erklettert man die Leiter,
Die von der Erde in den Himmel führt.
Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
Weil er sich selber liebt – den Nächsten lieben.
Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne
Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.
Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu!
Ich freu mich, dass ich… Dass ich mich freu.

– Gedicht von Mascha Kaléko

Mascha Kaléko
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– Infos der Universität Düsseldorf
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